Das freie Amt - Der Diakon in der zukünftigen Sozialgestalt der Kirche
Das freie Amt
Der Diakon in der zukünftigen Sozialgestalt der Kirche
- In neuen Zeiten
Wir leben in wirklich aufregenden Zeiten und es ist nicht die Aufregung der Vorfreude, die herrscht, eher im Gegenteil. Erstmals seit langem kann die nachfolgende Generation froh sein, wenn es ihr nicht schlechter geht als der vorhergehenden, wenn das Klima nicht kollabiert, der Euro stabil und die Konflikte der Kulturen halbwegs friedlich bleiben, wenn die Energiereserven nicht zu früh ausgehen und der globale Kapitalismus sein menschenverachtendes Gesicht nicht auch in der eigenen Biografie zeigt.
Da menschliches Empfinden zudem nicht nach absoluten Skalen, sondern relativ zu erlebten Veränderungsprozessen reagiert, wird dies alles als Abstieg und Bedrohung empfunden, obwohl viele, wenn auch beileibe nicht alle, zumindest in den westlichen Ländern, so gut, sicher und lang leben wie noch nie in der Menschheitsgeschichte.
Es wird nichts so bleiben, wie es ist, in unserer Gesellschaft und auch nicht für die Kirche. Das ist spätestens in den letzten Monaten unübersehbar geworden. Zum Beispiel ist unübersehbar geworden, dass das Christentum in Europa religionsgemeinschaftlich gesehen eine Absteigerreligion geworden ist und dass sich das auch absehbar nicht ändern wird. Christliche Kirchen werden verkauft, Moscheen werden gebaut.
In all diesen Prozessen spiegelt sich vor allem eines: Die Kirche ist zwar weiterhin ein handlungsfähiges Subjekt, aber eben auch Unterworfene ihrer Zeit, sie ist nicht nur starkes Subjekt, sondern auch sujet, sie kann sich nicht mehr abschirmen von dem Ort, an dem sie ist. Diese Orte sind nicht länger nur Kontexte der Kirche selbst, sondern schreiben sich in sie ein, durchziehen und durchdringen sie, gestalten sie, prägen sie, ob sie will oder nicht.
Die Kirche kann sich auch im eigenen Bereich nicht länger abschirmen von den Folgen ihres Handelns. Sie kann es nicht mehr, weil sie auch für ihre eigenen Mitglieder nicht mehr länger die selbstverständlich akzeptierte religiöse Heilsverwaltungsinstitution ist, sondern eine religiöse Dienstleistungsorganisation, anders gesagt: nicht mehr die Kirchenmitglieder sind Unterworfene der kirchlichen Biografiedirektiven, sondern alle pastoralen Handlungsorte sind Unterworfene der wankelmütigen und unkontroll-ierbaren Partizipationsmotive der Kirchenmitglieder.
Die neue Situation unserer Kirche lässt sich schlagwortartig im Satz zusammenfassen: Sie war an der Macht und ist nun auf dem religiösen Markt. Die Kirche gerät dadurch unter massiven Transformationsstress. Vor allem muss sie ein Konzept finden, auf dem Markt zu agieren, ohne ihm zu verfallen. Das muss sie, denn sie hat gar keine Alternative: Die Kirche kann den Kontext ihres Handelns nicht mehr selber kontrollieren - was sie ja lange konnte und noch länger wollte.
Dem Markt verfallen, das darf sie aber um ihrer Botschaft willen auch nicht. Denn in ihrer Botschaft geht es um Umkehr und Erlösung, um Tod und Auferstehung der Leidenden, also von uns allen, und nicht um das schöne, reiche Leben des spätestens gegen die Armen und Kranken erbarmungslosen Marktes.
2. Der Diakon in den Transformationsprozessen der Kirche
2.1 Der spezifische pastoraltheologische Zugang
Normalerweise beginnt eine Bestimmung dessen, was ein kirchliches Amt ausmacht, mit einem Blick auf die biblische und die dogmatische Tradition, um von dort aus dann seine Aufgabe heute zu bestimmen. Wollte man dies im Falle des Ständigen Diakonats versuchen, sind die Befunde ausgesprochen komplex. 1 Es gibt ihn in der antiken Kirche, wenn auch, wie allerdings bei allen Ämtern, in höchster zeitlicher und örtlicher Variabilität.
Schon die Bedeutung des Wortes diakonein im Neuen Testament und seinem antiken und frühchristlichen Umfeld, die durchaus nicht zuerst „Dienst" und „dienen" meinte,2 und noch mehr die Frage, was Diakone in Abgrenzung und Nähe zu Presbytern und Bischöfen wann wo wie waren, ja sogar die Frage nach Existenz und Qualität von Ämtern im Neuen Testament überhaupt sind bekanntlich genauso offen und uneindeutig wie andererseits die Intentionen und Texte des II. Vatikanums zum Ständigen Diakonat. Offenheit und Unbestimmtheit wohin man schaut.
Nun sind in diese Lücke nach dem II. Vatikanum reichlich theologische Studien und kirchlich-amtliche Texte gesprungen und die meisten arbeiten mit und am Diakonie-begriff und das ja mit durchaus bemerkenswerten Resultaten. Ich möchte hier aber einen anderen, einen pastoraltheologischeren Weg gehen. Nicht nur, weil sich dogmatisch so wenig Genaues über den Diakon sagen lässt, sondern aus Gründen der inneren Struktur und Logik der Pastoraltheologie.
Wenn Pastoraltheologie der wissenschaftliche Versuch ist, die drei Größen kirchliche Tradition, aktuelle Situation und konkrete Personen miteinander ins Spiel zu bringen, dann kann dies grundsätzlich von allen drei Polen aus geschehen, und die klassische systematisch-theologische Reflexion über kirchliche Ämter tut dies denn auch vom Traditionspol aus, nicht ohne dabei ins Feld der Pastoraltheologie (,,Was bedeutet das heute?") auszugreifen. Genuin pastoral-theologisch aber ist es, am Situations- oder am personalen Pol anzusetzen und von dort aus nach Sinn und Bedeutung der Tradition heute zu fragen.
Dann aber muss die Frage lauten: Wer sind sie eigentlich, die Diakone? Was unterscheidet die (Ständigen) Diakone hier und heute real von den anderen Ämtern und Diensten der katholischen Kirche? Was macht sie besonders? Was haben sie, das andere Ämter der Kirche nicht haben?
Danach erst wäre zu fragen: Was ergibt sich daraus für die Aufgabe des Ständigen Diakons und was für seine Chancen in der gegenwärtigen und zukünftigen Lage einer sich verflüssigenden Sozialform von Kirche unter Marktbedingungen?
2.2 Dreifach prekär: Der Ständige Diakonat
Was ist nun das Besondere am Ständigen Diakonat, so wie er heute und hier wieder existiert?
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- Erstens muss man festhalten: Ständige Diakone hat es über viele Jahrhunderte nicht gegeben. Der Ständige Diakonat verliert sich mit der spätantiken Sazerdotalisierung der kirchlichen Ämter, im Mittelalter und in der Neuzeit bis zum II. Vatikanum gab es den Diakon in der römisch-katholischen Kirche nur als Durchgangsstation zum Priestertum.
- Zweitens: Diakone sind - zu gut 90 Prozent - verheiratete Männer. Das unterscheidet sie von den Diakonen auf dem Weg zum Priester und natürlich überhaupt von allen anderen Klerikern in der katholischen Kirche - sieht man von verheirateten Priestern in den unierten Ostkirchen oder konvertierten Protestanten ab.
- Drittens: Diakone sind zwar Kleriker, das unterscheidet sie von den Laien, auch von den Laientheologen, aber sie sind es „auf einer niedrigeren Stufe der Hierarchie", wie es in Lumen gentium 29.1. heißt. Der Vatikan hat diesen Abstand kürzlich mit dem Motu proprio „Omnium in mentem" ja kirchenrechtlich sogar noch ein wenig vergrößert.3 In den Termini der scholastischen mittelalterlichen Theologie gesprochen: Der Diakon besitzt nicht die potestas sacramenta/is conficere corpus et sanguinem Christi, also das Heilige Messopfer zu vollziehen oder, nachkonziliar gesagt, der Eucharistie vorzustehen.
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Alle drei Elemente machen den Ständigen Diakon offenkundig zu einem etwas prekären Amt und dieses Prekäre, Unfestgestellte, Offene4 spiegelt sich offenbar jenseits der schönen Selbstverständnistexte und Werbe-broschüren auch im Erleben vieler Diakone wider und jedenfalls in der sehr unterschiedlichen und letztlich unentschiedenen Weise, in der die deutschsprachigen Diözesen Diakone einsetzen und wertschätzen.
Prekär meint hier nicht nur, wie umgangssprachlich, heikel, schwierig und problematisch, sondern ganz wörtlich „precarius": auf Widerruf gewährt, unsicher, unbeständig, vielleicht vorübergehend. Schließlich heißt es in Lumen gentium 29.2. ganz lapidar, dass es den „zuständigen verschiedenartigen örtlichen Zusammenschlüssen der Bischöfe" zukomme, ,,zu entscheiden, ob und wo es für die Seelsorge angebracht ist, dass derartige Diakone eingesetzt werden". Deutlicher kann man nicht mehr signalisieren: Euch kann es, muss es aber nicht geben.
Nun konfrontieren diese drei Spezifika des Ständigen Diakons die katholische Kirche ja auch tatsächlich mit heiklen Realitäten ihrer selbst.
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- Dass es den Ständigen Diakon über viele Jahrhunderte nicht gegeben hat, konfrontiert die Kirche in geradezu exemplarischer Weise mit der Geschichtlichkeit ihrer eigenen Ämter, die beim Ständigen Diakon eben bis zur Abschaffung, bei den anderen Ämtern, Priester und Bischof, aber eben bekanntlich auch zu enormen Differenzen in Konzeption wie Praxis führten. Die hohe geschichtliche Wandelbarkeit kirchlicher Ämter in Theorie und Praxis markiert die enorme Rolle der Situativität auch für kirchliche Ämter, die sich so gerne situationsenthoben und quasi ewig geben.
- Dass der Ständige Diakon zumeist verheiratet, also sexuell aktiv und gleichzeitig Kleriker und liturgisch am Altar tätig ist, konfrontiert die katholische Kirche mit ihrer eigenen heiklen Einstellung zum Verhältnis von Sexualität und Kult. Der Zölibat ist schließlich vor allem auf Grund der spätantiken Wiederaufnahme außerchristlicher und jüdischer kultischer Reinheitsvorschriften in die Kirche eingewan-dert.5 Der verheiratete Ständige Diakon dokumentiert, dass Kultus und Pastoral in all ihren Formen eben nicht notwendig mit sexueller Nichtaktivität verbunden sind, wie es der katholische Kleriker, zumindest offiziell, seit langem fordert.
- Dass schließlich, drittens, der Ständige Diakon Kleriker ist, aber keine Eucharistievollmacht besitzt, was genau spätestens seit dem Frühmittelalter den Kleriker ausmachte und übrigens auch seine allgemeine Jurisdiktionsvollmacht begründete, das konfrontiert die Kirche mit ihrer eigenen, teilweise fatalen Machtgeschichte, die nun seit einiger Zeit real eine Entmachtungs- und Abstiegsgeschichte geworden ist, zuletzt auch bei den eigenen Kirchenmitgliedern.
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Was aber bedeutet das alles für katholische Diakone heute?
Dass es dieses Amt jahrhundertelang nicht gegeben hat, bedeutet, dass das, wofür es dieses Amt gab, durch andere besetzt ist. Wie immer man die lange, zeitlich wie lokal differenzierte Geschichte zusammenfasst, wofür es Diakone und Diakoninnen in der antiken Kirche gab, deutlich ist, dass es zwei große Felder waren: zum einen tatsächlich das, wonach sie heißen: die Diakonie, also der Liebesdienst an den Geringen und Geringsten, und dann eben auch, wenn auch wahrscheinlich von Anfang an eher untergeordnet, der liturgische Dienst unterhalb des Priesters.6
Beide Aufgabenbereiche spiegeln sich denn auch in Lumen gentium 29, diesem
konziliaren Neustart des Ständigen Diakonats, wider und stehen da schon und eigentlich bis heute ziemlich unverbunden nebeneinander. Denn einerseits zählt Lumen gentium "vorrangig liturgische Aufgaben des Diakons auf', was daran „erinnert ... , dass ein Hauptmotiv für die Wiederein-führung des Diakonats in der Abhilfe für den herrschenden Priesterrnangel liegt."7 Andererseits knüpft Lumen gentium begrifflich an die Diakonie an und so heißt es, der Ständige Diakon diene „in der Diakonie der Liturgie, des Wortes und der Liebestätigkeit": Hier wird also die Diakonie zu einer Art Vorzeichen um die gesamte Palette pastoralen Handelns, was freilich genau genommen für alles pastorale Handeln gilt.
Für Diakonie wie Liturgie aber gilt: Beide Felder sind heute von anderen besetzt. Die Diakonie wird in unseren Breiten von der enorm ausgebauten, hoch professionalisierten und sehr angesehenen Caritas organisiert, die Liturgie aber eben immer noch vor allem vom Priester vollzogen, andererseits drängen auch immer mehr Laien, ermutigt durch die Volk-Gottes-Theologie des II. Vatikanums, in liturgische Vollzüge.
Wenn Diakone gebraucht werden, dann halt doch vorwiegend in liturgienahen Tätigkeiten, so jedenfalls legt es die Diakone-Studie von Zulehner nahe.8 Zudem „bleibt die nüchterne Feststellung", so Klaus Kießling, Präsident des Internationalen Diakonatszentrums, ,,dass die Wiederbe-lebung des Diakonats nicht so sehr theologischer Arbeit und theologischer Einsicht entspringt, sondern in starkem Maße einem pastoralen Druck, der sich aus dem Priestermangel ergibt"9•
Klaus Kießling plädiert nachdrücklich und überzeugend für eine diakonale Profilierung des Amtes des Diakons. In der Realität aber, so scheint mir, schaut es im deutschsprachigen Bereich ziemlich bunt und auch ziemlich anders aus, wird situativ entschieden, wo man den Diakon braucht, oft tatsächlich in der Liturgie, manchmal auch in der Diakonie. Diese ist aber eben so institutionalisiert, dass der Diakon hier fast ein wenig verloren am Rande steht, bestenfalls in spezifischen Nischen seinen Ort findet.
Was aber bedeutet Verheiratetsein für den Diakon? Die einschlägigen Selbstverständnistexte rekurrieren auf die Lebenserfahrung und Nähe zu der Lebenswirklichkeit der Nicht-Kleriker, die Verheiratetsein bedeutet. Aber Verhei-ratetsein bedeutet eben auch, mit der jahrhundertelangen Gegenüberstellung von Sexualität und Kult im Sinne von Unreinheit und Reinheit zu brechen. Wie schwer das unserer Kirche immer noch fällt, sieht man auch daran, dass sie sich nicht entschließen kann, Frauen zu Diakoninnen zu weihen. 10
Hier wie im dritten Bereich, der „niedrigeren Stufe" innerhalb der klerikalen Hierarchie, müssen Diakone damit umgehen, gewollt, aber irgendwie nicht ganz gleichrangig zu sein, müssen sie damit umgehen, von den Laien zu den Klerikern gerechnet, von diesen aber halt dann doch nicht von gleich zu gleich behandelt zu werden.
2.3 Vom Stigma zum Charisma
Was ich in dieser Lage vorschlage, ist etwas ebenso Einfaches wie Schwieriges, etwas, was in der jüngeren Geschichte übrigens politisch mehrmals ganz überraschend funktioniert hat und das man sogar als zentrale Strategie Jesu analysiert hat.11
Das Schwere daran ist, dass es eine enorme Souveränität voraussetzt und wirkliche Distanz zu Fremdzuschreibungen, das Einfache ist, dass es eigentlich nur eine einzige Bewegung, Verschiebung, genauer Umkehrung ist, um die es geht. Was ich vorschlagen möchte, das ist die Strategie, aus den eigenen Stigmata Charismen zu machen, also aus dem, was andere als Defizit formulieren und was es aus der herrschenden Perspektive auch wirklich ist, ein Charisma, also ein Geschenk, eine Gabe für sich und andere zu machen.
Das setzt freilich zwei Dinge voraus. Zum einen, diese Stigmata nicht wegzuverkleinern, abzumildern, zu über-spielen und gerade dadurch abgeschwächt als schmerzende Verletzungen weiter zu tradieren. ,,Black is beautiful" funktionierte nur, weil die Afroamerikaner nicht länger die defizitären Weißen sein wollten, weil sie realisierten, Rassismus existiert und schwarz zu sein ist nicht schön, sondern ein Grund zur Diskriminierung - und sie die Kraft fanden, genau diese Zuschreibungen positiv umzuwerten. Stigmata in den Augen anderer in den eigenen Augen zu Charismen zu machen, setzt also voraus, anzuerkennen, dass ich in einer heiklen und prekären Situation bin, und zweitens die Kraft und Souveränität, gegen diese Abwertung Um- und Aufwertungen zu setzen.
Aus dem Stigma, dass die klassischen Handlungsfelder Diakonie und Liturgie von anderen besetzt sind, wie wird daraus ein Charisma? Indem dieses Zuspätkommen als Freiheit interpretiert wird!
Aus dem Stigma, verheiratete, sexuell legitim aktive Kleriker zu sein, wie wird daraus ein Charisma? Indem verheiratete Diakone stolz auf ihre prophetische Existenz als eine nach-patriarchale, von allen unjesuanischen Verständnissen von kultischer Reinheit freie Form des katholischen Klerus sind!
Aus dem Stigma, irgendwie nur nachrangige Kleriker zu sein, die nicht „in persona Christi capitis" handeln können, wie wird daraus ein Charisma? Indem Diakone stolz darauf sind, frei von jedem Klerikalismus zu sein, der als klerikale Herrschaft ilber die Gesellschaft startete, dann zur priesterlichen Herrschaft ilber die Kirche und ihre Mitglieder wurde und gegenwärtig nur noch eine ziemlich heillose Identitätsstrategie verunsicherter priesterlicher Männer ist.12 Was in den Zeiten freier Religionsnutzung auch bei Priestern nicht mehr funktioniert, sich ilber Herrschaft, Abgrenzung und Überlegenheitsgesten zu definieren, dieser Versuchung können Diakone gar nicht erst erliegen, weil sie Uber diese Macht gar nicht mehr wirklich verfügen.
2.4 Das „freie Amt" des ordo
Diakone könnten also so etwas wie „das freie Amt" einer Kirche sein, die sich in ihren Sozialformen immer weiter verflilssigt, die nicht genau weiß, wie es weiter geht, weil man gar nicht genau wissen kann, wie es kulturell und gesellschaftlich, religiös und eben auch kirchlich weiter geht. Denn die Zukunft ist wirklich unplanbar geworden, die Gegenwart unüberschaubar und die Vergangenheit für vieles tatsächlich unbrauchbar.
Vielleicht sind gerade Diakone jener Teil des Klerus, der in seiner Unfestgestelltheit am zukunftsfähigsten ist, freilich nur, wenn er diese Unfestgestelltheit umsetzt in Kreativität und Praxisinnovationen. Feste Rollen werden zukünftig nicht mehr tragen, das spuren gegenwärtig die Priester und vielleicht sogar die Bischöfe. Notwendig ist situative Flexibilität, ist der Vorrang der pastoralen Aufgaben-orientierung vor der Jahrhunderte alten Sozialform-orientierung.
Woran dann aber sich orientieren? An dem, woran sich alle gute Pastoral orientieren soll: an ihrer Aufgabe. Die Aufgabe aller Pastoral ist die kreative Konfrontation von Evangelium und Existenz hier und heute. Dazu braucht es die Fähigkeit, die „Zeichen der Zeit" lesen zu können, also gerade nicht kulturpessimistisch auf die Gegenwatt zu reagieren, sondern zu fragen: Was bedeutet diese Gegenwart für das Evan-gelium und was das Evangelium für die Gegenwart? Erst im Schnittpunkt beider Perspektiven kann man die eigene pastorale Aufgabe erkennen.
Es gibt aber Kriterien, an denen man spilrt, ob solch eine Pastoral wirklich stattfindet und gelingt: Ich nenne sie „Auferbauung", ,,Ausstrahlung" und „Aufmerksamkeit".
- „Auferbauung" heißt: Jene, die diese Pastoral tun, werden selbst durch sie bereichert, überwinden in ihr den reinen Arbeits- und Leistungsbegriff, werden durch sie erfüllt, sind, biblisch gesprochen, ,,voll des Geistes" und seiner Gaben.
- „Ausstrahlung" guter Pastoral aber meint: Sie gewinnt aus sich, ganz selbstver-ständlich und ohne Einsatz großer Effekte, Autorität und Anerkennung auch bei anderen, sie wirkt einfach durch sich, im Großen wie im Kleinen.
- „Aufmerksamkeit" guter Pastoral aber meint: Sie ist aufmerksam auf den eigenen Ort und seine Herausforderungen, begnügt sich nicht mit Gemeinschaftserlebnissen unter sich, sondern sucht die situativen, lokalen „Zeichen der Zeit", ist neugierig auf andere und anderes, auf Fremdes, erkennt, wo andere wegschauen, und hat jedenfalls keine Angst vor dem, was heute der Fall ist.
Und es bleibt noch etwas, über das ich bisher noch gar nicht gesprochen habe, das aber Diakone eben auch ausmacht, jetzt nicht in Differenz zu anderen Klerikern, sondern in Gemeinschaft mit ihnen: Sie sind geweiht. Erst jetzt, nach der pastoralen Aufgabenbeschreibung und nach den Charakteristika des Amtes des Diakons heute, sei es einge-führt. Denn die Weihe gibt es, damit man pastorale Aufgaben lösen kann, hier und heute, und nicht umgekehrt.
Die Weihe kann eine wichtige Hilfe sein, das, was in der Perspektive früherer kirchlicher Zeiten und Theologien als Stigmata erscheint, in Charismen, in Gaben und Chancen umzuwerten und auch so erleben und wirken zu lassen. Denn dass es so etwas wie eine sakramentale Weihe im Volk Gottes gibt, ist die personale Institutionalisierung des Glaubens des Volkes Gottes an die größere Gnade Gottes. Dafür gibt es Weihen in der Kirche.
„Wenn sich die Kirche insgesamt der Gnade Gottes verdankt", so Ottmar Fuchs, und damit seiner ,Diakonie‘ den Menschen gegenüber, dann darf es als Spezifikum des Weiheamtes angesehen werden, genau dieser Vorgege-benheit Wirkung und Gestaltung zu ermöglichen." Es ist also Aufgabe des Weiheamtes, ,,diese Vorgegebenheit der Liebe Gottes tatsächlich in den Strukturen der Kirche selber" darzustellen und zu verwirklichen.13 Die Stigmata,
- frei zu sein von alten Festlegungen und vordefinierten Aufgabenfeldern,
- frei zu sein von den patriarchalen und sexistischen Traditionen des kirchlichen
Amtes, - frei zu sein vom Klerikalismus und seiner Versuchung der Macht,
erweisen sich dann als spezifische Chancen, wenn das Diakonenamt im Sinne seines Weihecharakters als Darstellung der „Vorgegebenheit der Liebe Gottes in den Strukturen der Kirche selber" begriffen wird. Genau das ist übrigens auch der heutige Sinn des Diakoniebegriffs. Wenn Diakone in ihrem pastoralen Tun Menschen helfen und sie „auferbauen", wenn sie dabei spüren, wie sie bei aller Anstrengung auch selbst froh und „voll der Gnade werden", wenn sie spüren, dass dieses Tun ausstrahlt und aufmerksam macht für die Wirklichkeiten der Gegenwart, genau dann werden sie eine Gnade für andere sein.
Diakone sollten Orte einer Pastoral voller Gnade und Barmherzigkeit jenseits von Klerikalismus und seiner Verfüh-rung der Macht gestalten, jenseits von Frauenverachtung und Sexismus und das tatsächlich ganz situativ und unfestgelegt in den Nischen und Ligaturen, auf den offenen Feldern und Zonen und mit den Menschen einer Gegenwart, die unüberschaubar und offen geworden ist, wo ständig Neues wird und passiert, von dessen Möglichkeit man kurz vorher noch nicht einmal etwas ahnte.
Diakone sind so etwas wie „das freie Amt" des ordo, frei von den Belastungen der Macht, des Sexismus und des Klerikalismus in einer Kirche, die auch selbst gerade einer ziemlich offenen Zukunft entgegengeht. Diakone sollten in die Zonen dieser Offenheit gehen und nicht in die immer enger werdenden Höhlen vergangener klerikaler Zeiten.
Ich bin fest überzeugt, die scheinbaren Stigmata des Ständigen Diakonats sind wirkliche Gaben, Aufgaben, Charismen in diesen Zeiten. Sie können helfen, in diesen Zeiten etwas auszustrahlen von der Liebe, Menschen-freundlichkeit und verändernden Kraft unseres Gottes.
1 Vgl. zur neueren Diskussion: Ch. Wessely, gekommen, um zu dienen. Der Diakonat aus fundamental-theologisch-ekklesiologischer Sicht, Regensburg 2004; S. Sander, Das Amt des Diakons. Eine Handreichung, Freiburg/Br.-Basel-Wien 2008; Ders., Gott begegnet im Anderen. Der Diakon und die Einheit des sakramentalen Amtes, Freiburg/Br.-Basel-Wien 2006; S. Steger, Der Ständige Diakon in der Liturgie. Anspruch und Lebenswirklichkeit eines wiedererrichteten Dienstes, Theo!. Fak. Würzburg Diss. 2004; P. Zulehner, Dienende Männer - Anstifter zur Solidarität. Diakone in Westeuropa, Ostfildern 2003. Offiziell: Österreichische Bischofskonferenz (Hrsg.), Der Ständige Diakonat. Österreichische Rahmenordnung für den Ständigen Diakonat, o. 0. 2010; offiziös: Institut für den Ständigen Diakonat in der Erzdiözese Wien (Hrsg.), Profil des Ständigen Diakonats, Wien 2009.
2 Vgl. dazu: A. Hentschel, Diakonia im Neuen Testament. Studien zur Semantik unter besonderer Berücksichtigung der Rolle von Frauen, Tübingen 2007. Siehe dazu aus (evangelischer) pastoraltheologischer Perspektive: E. Hauschildt, Was bedeuten exegetische Erkenntnisse über den Begriff der Diakonie für die Diakonie heute?, in: Pastoraltheologie 97(2008) 307-314. Diese Reflexion ist tatsächlich notwendig, schließlich gilt als geklärt, dass der „neutestamentliche Begriff diakonia ... kein Fachterrninus der Diakonie als caritativer Tätigkeit, sondern ein Allerweltswort für Aufgaben und Funktionen, die in Ausübung eines Auftrags versehen werden" (307) ist. Hauschildt weist dabei zu Recht darauf hin, dass der „diakonische" Auftrag der Kirche nicht am Begriffsfeld dieses Wortes im Neuen Testament hänge, sondern „dass die gesamte diakonische Arbeit auf dem Hintergrund des Verhältnisses von Glauben und Handeln, von Gottesliebe und Nächstenliebe und auch von christlichem Handeln im Auftrag (diakonia) zu bedenken ist·' (312)
3 Vgl. dazu: P. Hünennann, Anmerkungen zum Motu proprio „Omnium in mentem", in: Theologische Quartalschrift 190(2010) 116-129; S. Demel, Ein Stand zwischen Kleriker und Laien - nun auch für Frauen möglich? Der Diakonat in der geänderten Rechtsbestimmung des kirchlichen Gesetzbuches, in: imprimatur 2/20 I O (http://www.imprimatur-trier.de/2010/impl00209.html, 14. 12. 2011 ), aus prononciert konservativer Sicht: M Hauke, Der Diakonat und das Handeln in „persona Christi capitis". Randbemerkungen zum Motuproprio „Omnium in mentem", in: Forum katholische Theologie 26(2010) 191-205.
4 Siehe auch schon: H. Steinkamp, Prekäre ldentiät. Rollen- und kirchensoziologische Anmerkungen zur Standortbestimmung des Ständigen Diakonats, in: Diaconia Christi 24(1989) 127-136
5 Kurz und informativ: H. Lutterbach, Mittelalter in der Modeme? Wie der Pflichtzölibat entstand, in: Herder-Korrespondenz 65(2011) 347-352, Siehe auch: A Angenendt, Pollutio. Die „kultische Reinheit" in Religion und Liturgie, in: Archiv für Liturgiewissenschaft 52(2010) 52-93.
6 „Beim Blick auf die historische Entwicklung, die zur Wiederherstellung eines eigenständigen Diakonates in der römisch-katholischen Kirche geführt hat, zeigen sich unterschiedliche Motivationen (der Diakon als Garant für diakonisches Handeln und der Diakon als Helfer der Priester), die bis heute die verschiedenen Argumentationslinien und Profilierungsversuche des Diakonates kennzeichnen." (Sieger, Der Ständige Diakon in der Liturgie, 463, http:l/d-nb.info/974474711/34, 5 9. 2011
7 K. Kießling, Verheiratete Geistliche. Beiträge Ständiger Diakone zur Zukunft der Weltkirche, in: R. Bucher/J. Pock (Hrsg,), Klerus und Pastoral, Wien-Berlin 2010, 263-286, 269.
8 Vgl. Zulehner, Dienende Männer.
9 Kießling, Verheiratete Geistliche, 268.
10 Siehe: D. Winkler (Hrsg.), Diakonat der Frau. Befunde aus biblischer, patristischer, ostkirchlicher, liturgischer und systematisch-theologischer Perspektive, Münster 20 l O; D. Reininger, Diakonat der Frau in der einen Kirche. Diskussionen, Entscheidungen und pastoral-praktische Erfahrungen in der christlichen Ökumene und ihr Beitrag zur römisch-katholischen Diskussion, Ostfildern 1999; P. Hünennann/A. Biesinger/M. Heimbach-Steins/A. Jensen (Hrsg.), Diakonat. Ein Amt für Frauen in der Kirche